Es brennt

Es brennt – Und meine Wut wird immer größer! Bilder aus Moria bewegen seit Mitte letzter Woche die Weltöffentlichkeit. Im übertragenen Sinne brennt es in Moria schon seit Jahren, am Mittwoch ist das größte Flüchtlingslager Europas auf der griechischen Insel Lesbos nun auch wortwörtlich in Flammen aufgegangen. Der Grünen Politiker Erik Marquardt postet einen Videoclip aus Moria und beginnt mit den Worten: Ich bin wütend.

Ich auch. Ich bin so schrecklich wütend. Über so viel Leid, über so viel Gleichgültigkeit, über so viel Zynismus, so viel Ungerechtigkeit, so viel – VIEL. Ich bin überfordert, ich fühle mich hilflos.

Wut

Ich fühle mich nicht gerne hilflos. Ich fühle mich nicht gerne ohnmächtig. Deshalb bekomme ich Hilfe. Von meiner Freundin, der Wut! Ich werde laut, ich werde unbequem, ich zwinge die Menschen, sich auseinanderzusetzen, mit den Themen, mit mir, mit sich selbst. Nein, kein Schweigen um des lieben Frieden Willens! Finde ein Argument, erklär Dich mir. Ich lasse nicht zu, dass Du Dich versteckst! Ich meine Dich, Horst Seehofer, ich meine euch alle, ihr Politiker*innen, die ihr euch hinter Phrasen versteckt. Ich meine Dich, meine/n Nachbar/in, Bekannten, Freund/in, Verwandten. Meine Wut ist es, die keinen Fluchtweg lässt, weil sie so groß ist und so viel Raum einnimmt.

Meine Wut brennt dann besonders heiß, wenn meine Empathie auf unlogisches Verhalten trifft. Für mich ist Logik ganz stark mit Gerechtigkeit, mit Menschlichkeit, mit Empathie, verknüpft. Wir alle kennen doch die goldene Regel: ‚Was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu.‘ Zack. Logik und Mitgefühl.

Logik und Mitgefühl

Logik und Mitgefühl bringt man nicht automatisch mit Wut in Verbindung. Wut gilt als unerwünschte Emotion. Wut ist laut, aggressiv, übergriffig für den, der sich mit ihr konfrontiert sieht. Wer wütend ist, übertreibt, wird nicht ernst genommen, ist irrational. Beruhig dich erst mal wieder, dann können wir sprechen. Ein wütender Mensch gilt als das Gegenteil eines rationalen, eines logischen Menschen. Doch die Wut, die macht die Logik sichtbar, die tritt für die Menschlichkeit ein, wenn die Höflichkeit und die Harmonie versagen.

Moria.

Mein Kind lernt gerade große Zahlen. Mama, wie viele Nullen hat eine Billion?

Bewohner Flüchtlingslager Moria in Griechenland
12.600

Einwohner Europäische Union
446.000.000

Die Logik diktiert mir – wir haben Platz. Europa hat Platz. Die Empathie spürt – wir wollen Platz haben. Die Menschenrechtscharta der UN nickt zustimmend.

Bei einem so offensichtlichen Sachverhalt fühle ich mich hilflos, wenn nicht dementsprechend alle Kräfte gebündelt werden und folgerichtig gehandelt wird. Evacuate Moria now!

Mittlerweile sind ein paar Tage vergangen. Nichts passiert. Ach nee nein, nicht nichts, ich vergaß. Innenminister Horst Seehofer hatte zuerst angekündigt, 100 – 150 Kinder und Jugendliche aufzunehmen. Jetzt hat er sich anscheinend doch erweichen lassen – oder dem öffentlichen Druck nachgegeben – tatsächlich diese Zahl auf 1.500 zu erhöhen.

1500 im Vergleich zu 82.000.000. So viele Menschen will Deutschland aufnehmen.

Und das soll uns als große humanitäre Geste verkauft werden? Ernsthaft? Wie soll ich das logisch meinem Kind erklären? Meinem Kind, dass ich zu einem logisch denkenden und mitfühlend handelnden Menschen erziehen will? Kann mir das jemand erklären? Herr Seehofer?

Rückblick

Die Politiker*innen zögern. Wollen keine Fehler machen. Zu frisch noch die Erinnerung, was eine logische, empathische Handlung von Kanzlerin Merkel im Jahr 2015 in unserem gesellschaftlichen und politischen Wertesystem ausgelöst hat. Die Folgen spüren wir bis heute, nicht nur in Deutschland. Vor 5 Jahren hat unsere Kanzlerin etwas Mutiges getan. Sie ist der Logik und dem Mitgefühl gefolgt. Logik: die Situation in Ungarn hat sich zugespitzt und muss gelöst werden. Mitgefühl: diese Menschen brauchen Hilfe.

Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 war ein disruptives Ereignis. Das Elend der Menschen manifestierte sich plötzlich direkt vor unserer Tür. Wir wurden gezwungen, uns mit Themen auseinanderzusetzen, die uns zu einem Blick in den Spiegel zwangen, und uns keinen Ausweg ließen, als in unsere Herzen zu sehen. Keiner hatte uns vorher gefragt, ob wir das überhaupt wollen. Einige fühlten sich überrumpelt, überfordert, ohnmächtig. Die Folge: Wut.

Angst

Diese Wut hatte allerdings noch einen anderen Brandbeschleuniger: Angst. Und Angst ist ein machtvoller Brandbeschleuniger. Wut springt ein, wenn ein passives Gefühl Hilfe braucht. Ohnmacht. Oder eben auch Angst. Angst muss man immer ernst nehmen. Auch wenn man sie im ersten Moment nicht versteht oder für unbegründet hält. Angst ist, neben Liebe, der mächtigste Motivator für uns Menschen. In disruptiven Situationen ist es deshalb die Pflicht von Politik, zu kommunizieren, zu erklären, zu fragen, zuzuhören. Ängste abzubauen. Leider gehen nicht alle Menschen, die Verantwortung für Wähler*innen, Bürger*innen, die Gesellschaft, tragen, sorgsam mit dieser Verantwortung um. Im Gegenteil.

Brandstifter

Es gibt Menschen, die noch Öl ins Feuer der Angst schütten. Die Angst schüren, weil ängstliche Menschen auf schnelle Lösungen hoffen, die ihnen Erlösung aus ihren Ängsten versprechen. Die Menschen, die den Brandbeschleuniger Angst absichtlich schüren, sind gefährlich. Wut, aus Angst geboren, ist gefährlich.

Ein Paradebeispiel für diese Art des Regierens ist der US Amerikanische Präsident Donald Trump.

Warnendes Beispiel USA

Donald Trump nutzt scham- und skrupellos das machtvolle Werkzeug der Angst und versichert gleichzeitig, dass er der einzige sei, der die Bürger*innen beschützen könnte. Dieses Spiel ist perfide, da es die Gesellschaft spaltet in zwei Lager, denn um Menschen Angst zu machen, braucht man immer ein Feindbild.

Es verwundert nicht, dass das erste Buch, welches der durch den Watergate Skandal berühmt gewordene Journalist Bob Woodward über Donald Trump geschrieben hat, ‚Fear‘ heißt. Angst.

In dieser Woche ist sein zweites Buch über die Präsidentschaft Donald Trumps erschienen.  Der Titel des Buches: Rage. Wut. Phase eins unter Donald Trump ist Angst. Phase zwei Wut. Für eine erneute Amtszeit braucht der Präsident beides. Sein Wahlkampf baut darauf, beide Emotionen in der amerikanischen Bevölkerung zu schüren. Sein skrupelloses Verhalten, gepaart mit einer verunsicherten Gesellschaft, ergibt eine toxische Mischung.

Rückblick USA

Dabei hatte sich Amerika doch einst ein so hohes Ziel gesteckt in Bezug auf Mitgefühl. Auf der Freiheitsstatue im Hafen von New York ist folgender Spruch geprägt:

Gebt mir eure Müden, eure Armen,

Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,

Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten;

Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,

Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!

Sende sie, die Heimatlosen, vom Sturm Gestoßenen zu mir.

Hoch halte ich meine Fackel am goldenen Tor.

Emma Lazarus, 1886

Spiel mit dem Feuer

Die amerikanische Regierung unter Präsident Trump wendet sich ab von Mitgefühl und Logik, tritt ab von der geopolitischen Bühne. America first, Amerika alleine, jeder Amerikaner für sich. Die gewaltigen Verschiebungen sind bisher nur im Ansatz sichtbar, die Auswirkungen werden aber weltweit noch über Jahrzehnte zu spüren sein. Donald Trump braucht für seinen Machterhalt eine gespaltene Gesellschaft im Land, und eine gefährliche Welt außerhalb der Grenzen Amerikas.

Diesem egoistischen und skrupellosen Spiel mit dem Feuer kann man – muss man – einen Gegenentwurf gegenüberstellen. Europa sollte mutig sein und zeigen, dass man kein Klima von Angst schaffen muss, um erfolgreich regieren zu können, für seine Bürger*innen Wohlstand und Gesundheit zu erhalten und notleidenden Menschen auf der ganzen Welt zu helfen.

Gegenentwurf Europa

‚May your choices reflect your hopes, not your fears. ‘ Nelson Mandela.

Lange stand Europa im Schatten des großen Bruders USA. Amerika ging voran, traf Entscheidungen, manche beispielhaft, manche beschämend. Europa war ein schüchterner Zuschauer am Rande, vor allem auch, da Europa es bis heute nicht geschafft hat, mit einer Stimme zu sprechen. Europa kann sich jetzt, da Amerika beschlossen hat, zu schweigen, nicht mehr verstecken. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, eine Führungsposition einzunehmen und die Stimme zu erheben für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Logik, und Mitgefühl. In Deutschland und Europa sollte die Politik Entscheidungen treffen, die den Menschen Mut machen und Hoffnung geben. Damit meine ich nicht oberflächliche Harmonie. Ich glaube fest an unsere streitbare Demokratie. Wir sollten Konflikte aushalten und uns nicht in Zynismus flüchten. Wir dürfen alle keine Angst haben vor Gegenwind, vor Lautstärke, vor Wut. Ich glaube fest daran, dass bis auf wenige Ausnahmen die meisten Menschen in Deutschland mitfühlend handeln wollen und logischen Argumenten gegenüber offen sind. Und diejenigen, bei denen die Angst den Blick auf Logik und Mitgefühl trübt, die muss die Politik besonders sorgsam abholen. Kommunizieren. Kommunizieren. Kommunizieren. Wir alle sollten unsere Gesellschaft, unsere Werte, nicht kampflos dahingeben an Menschen, die Ängste schüren, die spalten statt zu einen, die Brände legen statt sie zu löschen.

12.600 Menschen in Moria sind obdachlos. Keine Hilfe in Sicht.

Es brennt.