Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? 

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“. Ich könnte die junge Kellnerin umarmen, als dieser Satz heute Morgen beim Frühstück fällt. Oder weinen. Oder Beides.

Seit gestern Abend sind wir in einem Hotel in Norddeutschland. Mein Mann und ich. Zum ersten Mal seit Oktober. Alleine. Ohne Kinder. Nicht zuhause. Ein Vorteil vom Patchworkfamilienleben. 

Wir genießen mehrere Privilegien, die es uns ermöglicht haben, bisher ganz gut durch die Pandemie gekommen zu sein. Wir haben Platz. Einen Garten. Durch die Pandemie nicht zusätzliche finanzielle Sorgen. Aber auch an uns sind die letzten Monate nicht spurlos vorbei gegangen. An den Kindern nicht. An meinem Mann nicht. An mir nicht. 

So richtig bewusst geworden ist mir das heute Morgen, bei einem Satz, den ich in meinem Leben schon x-mal gehört habe. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ Ich wurde gefragt, ob ich noch ein Bedürfnis habe. 

Seit Monaten war ich fast ausschließlich in der Rolle der Bedürfniserfüllerin. Ja, das war ich auch vor der Pandemie, als Mutter hat man generell mehrere Hüte auf, von der Nachhilfelehrerin, über die Köchin bis hin zur Therapeutin. Was mir vorher aber nicht bewusst war ist, wie sehr ich auftanken konnte, wenn jemand anders mir, zumindest teilweise, diese Aufgaben abnahm. Lehrer*innen, Sportverein, Köch*innen, Kellner*innen, … 

Erwachsen sein ist so einseitig. Besonders als Eltern. Man ist der/diejenige, der / die sich kümmert. Um andere. Um alles. Immer. Im Besten Fall hat man noch eine*n Partner*in an der Seite, mit dem das Kümmerkonto ausgewogen ist. Dann hat man zumindest eine Chance, nicht vollkommen ins Kümmerminus zu laufen. 

Die letzten Monate wurde ich immer dünnhäutiger. Auch mit Haus und Garten fiel es mir immer schwerer, die Stimmung hochzuhalten. Ein Umfeld zu kreieren, in dem wir als Familie und vor allem die Kinder so gut wie möglich durch diese Ausnahmezeit kommen. You can not pour from an empty cup. Das habe ich gemerkt, als ich letztens heulend auf dem Sofa saß und meiner Familie verkündet habe, dass ich nicht mehr kann. 

Selbstfürsorge ist das neue It-Ding. Nee. Ich will keine Selbstfürsorge. Ich will, dass das jemand anders macht. Ich will, dass sich jemand um mich kümmert. Ein anderer Erwachsener, der dafür im Gegenzug nichts von mir erwartet. 

Mir ist heute bewusst geworden, dass es vor der Pandemie diese Menschen gab, und dass ich diese Menschen schmerzlich vermisse!

Ein Besuch im Friseursalon – jemand anders wäscht mir die Haare, massiert mir den Kopf, und hört mir zu. Ein Verwöhnbesuch im Kosmetikstudio: zum Einwirken der Maske werde ich fest in eine warme Decke gewickelt und gefragt, ob ich auch wirklich warme Füße habe. 

Alle Köch*innen, Kellner*innen, Inhaber*innen, Küchenhilfen, Putzkräfte in allen Cafés und Restaurants die ich alleine oder wir als Familie vor der Pandemie so selbstverständlich besucht haben – ihr nehmt mir die Entscheidung ab, was es zu essen gibt. Ihr kauft ein, ihr kümmert euch um die Zubereitung, ihr erntet die langen Gesichter, wenn es den Kindern mal wieder nicht schmeckt, ihr räumt den Tisch ab, wischt die Krümel weg, spült das Geschirr – ihr füttert mich und meine Familie, wir dürfen Gäste sein, uns umsorgen lassen.

Lieber Dienstleistungssektor, ich habe euer Angebot immer schon gerne wahrgenommen, und eure Arbeit immer wertgeschätzt. Ich war jahrelang auch in eurem Sektor tätig, was ihr leistet war und ist mir bewusst.

Was mir nicht bewusst war, ist wie sehr ihr mir alle gefehlt habt. Wie nötig und wichtig ihr seid für mein seelisches und geistiges Wohlbefinden. Dienstleistung ist eigentlich das falsche Wort. Fürsorge passt viel besser.

Mein Ratschlag an alle, die wie ich die Möglichkeit haben, ihren seelischen Krug mit Hilfe anderer füllen zu können – tut es. Genießt es! Feiert es. Verbreitet Lächeln, Trinkgeld, Wertschätzung und Dankbarkeit.

Ein Ende der Pandemie ist in Sicht. Ich wünsche mir, dass wir alle vor diesem gefühlten Neustart ins ‚normale‘ Leben kurz innehalten. Tief einatmen. Tief ausatmen. Uns fragen: wie geht es mir eigentlich? Die / den andere*n fragen: wie geht es dir eigentlich? Und einen Satz weiterreichen, wie eine ausgestreckte Hand – kann ich etwas für Dich tun?