Wenn Worte alleine nicht reichen – oder was Stühle mit Werten zu tun haben

Zu seinem Wort stehen, Haltung zeigen, und konsequentes Handeln, ist nicht immer einfach. Aber genau das sind Eigenschaften von Menschen, die respektiert werden und denen man vertrauen kann. Egal, ob in der Wirtschaft, im privaten Bereich, und natürlich ganz besonders auch in der Politik.

Der Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer

Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) hat am Montag verkündet, dass sie weder als Kanzlerkandidatin noch als Parteivorsitzende für die CDU in Zukunft zur Verfügung stehen wird. Das Entsetzen allerseits war groß. Die Verkündigungen der eigenen Überraschtheit ebenfalls. Von Parteikollegen ebenso wie von Mitgliedern anderer Parteien. Klar, nach dem Debakel in Thüringen war viel Bewegung in der Partei. Aber gleich zurücktreten? Ist das nicht ein bisschen übereilt? Überreagiert?

Also mich überrascht das Überraschtsein der stirnrunzelnden Herren im Anzug um Einiges mehr als die Entscheidung von AKK. Zudem mich ein starkes Gefühl des Deja-vu beschleicht. Sie erinnern sich? Im Juni letzten Jahres trat die Vorsitzende der zweiten alten Volkspartei zurück. Andrea Nahles. SPD. Die Parallelen sind nicht zu übersehen. Beide Frauen konnten sich nur gut ein Jahr im Amt halten, und beide Frauen sahen sich in ihrer Amtszeit ähnlichen Umständen ausgesetzt. Es lohnt sich also, die Hintergründe genauer zu betrachten, um Lehren für die Zukunft abzuleiten.

Gewählt ist gewählt – Oder doch nicht?

Im Dezember 2018 setzte sich Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Wahl zur Parteivorsitzenden der CDU gegen Friedrich Merz und Jens Spahn durch. Knapp zwar, aber sie gewann. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entfiel auf sie. Normalerweise könnte, normalerweise sollte man dann davon ausgehen, dass sich eine Partei anschließend hinter der demokratisch gewählten Vorsitzenden versammelt, diese unterstützt und durch Zusammenhalt Stärke darstellt. Eine vereinte Partei unter einer Führung, die in der Rolle anerkannt wird, ist stark. Und kann auf dieser Basis Entscheidungen treffen, die in der Folge das Land stärken. Soweit logisch? Ich denke doch. Da sollte es eigentlich klar sein, dass individuelle Egos oder Ambitionen vor diesem Anspruch – bestmögliche Arbeit für die Menschen in Deutschland – hintenanstehen. Für das große Ganze. Richtig? Nein. Ganz falsch.

Worte ohne Taten sind nur Worte

Hier kommen wir zu meinem Steckenpferd, den Worten. Ich liebe Worte. LIEBE sie. Aber. Worte, ohne Taten, bleiben einfach nur Worte. Ganz leicht gesagt, und ganz leer. Verpuffen einfach so. Dieses Jahr ist Kommunalwahl in NRW, nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Glauben Sie mir – wir werden so viele Worte hören. Große Worte, komplizierte Worte, werbende Worte, versprechende Worte. Worte Worte Worte. Ich hab mir mal zwei Worte ausgesucht: bürgerliche Mitte. Jede Partei reklamiert für sich, die bürgerliche Mitte repräsentieren zu wollen. Die bürgerliche Mitte ansprechen zu wollen. Ok, ich mache mit. Was bedeutet für mich ‚bürgerlich‘? Und was ‚Mitte‘? Unter anderem auch das: ich fordere von unseren Volksvertretern, dass sie sich bürgerlich, ordentlich, verhalten. So, wie wir es uns im Umgang auch von unserem Gegenüber wünschen. So, wie wir unsere Kinder erziehen. Dass sie uns eine Kultur im Miteinander, eine Gesprächskultur, vorleben, an der wir uns orientieren können. Auch und vor allem erstmal im Umgang mit Kollegen aus ihrer eigenen Partei. Denn wenn das noch nicht mal klappt, wie soll ich dann darauf vertrauen, dass der Diskurs und der Kompromiss mit einer anderen Partei funktionieren sollte?

Menschen brauchen Vorbilder

Nach den Diskussionen der SPD im letzten Sommer und der damit einhergehenden Personaldebatte, die uns immer noch präsent ist, wollte die CDU es besser machen. Die CDU will die Volkspartei in Deutschland sein. Wieder so ein großes bedeutendes Wort. Volkspartei. Was aber genau steckt hinter diesem Wort? Ihr wollt Brücken bauen, versöhnen mitnehmen. Wenn wir als Gesellschaft wirklich wieder zusammenfinden wollen, dann müsst ihr, liebe CDU, jetzt den Anfang machen. Butter bei die Fische. Geht voran. Seid uns ein Vorbild. Lebt es uns vor. Behandelt eure Kollegen mit Respekt. Findet einen Konsens, auch in Personalfragen. Offen. Ehrlich. Transparent. Und dann: arbeitet zusammen. Wertschätzend. Euer neu gewählter Vorsitzender sollte der CDU vorsitzen wollen im Wissen um die Verantwortung, die er trägt. In Demut vor der Rolle. Nicht im Hochmut seiner eigenen Wichtigkeit. Seine Rolle ist dann, an der Spitze der Partei zu stehen, die Verbindung schaffen will. Dann stellt Verbindung her. Im Prozess, im Sieg, in der Niederlage.

Zusammenstehen – Auch wenn es schwer fällt

Denn, und das ist jetzt noch wichtiger als bisher – auch die ‚Verlierer‘ einer Wahl (egal, ob als Vorsitzender einer großen Partei, oder eines kleinen Vereines) stehen in der Verantwortung. Den gewählten Menschen an der Spitze zwar immer und zu jederzeit kritisch zu hinterfragen. Aber nur in dessen Meinung, nur konstruktiv, nur voller Respekt. Und nie in seiner Position, Autorität, oder seiner individuellen, besonderen Persönlichkeit.

Das, was Annnegret Kramp-Karrenbauer passiert ist, sollte als Warnung dienen, und sollte so wirklich nie wieder passieren. Denn es ist viel größer als eine Personaldebatte.

AKK hatte noch nicht mal richtig auf dem Stuhl der Vorsitzenden Platz genommen, da fing das Gesäge an eben diesem Stuhl an. Manchmal sägten die Menschen ganz offen, oft unterschwellig. Die ganze Wucht, die Worte haben können, entfaltete sich hier. Hier ein kritisches Wort, da ein wie nebenbei gesagter Satz in einem Interview, … Worte Worte Worte. Worte, deren Gewicht der Stuhl final nicht mehr halten konnte.

AKK saß seit einem guten Jahr auf einem Stuhl, der wackelte. Immer stärker. Der von anderen zum Wackeln gebracht wurde. Immer stärker. Auch von Mitgliedern ihrer eigenen Partei. Jetzt meine Frage: was meinen Sie, wie es sich wohl anfühlt, auf einem immer wackeliger werdenden Stuhl zu sitzen? Genau. Nicht gut. Was tut man, wenn man auf einem Stuhl sitzt, der wackelt? Genau. Man steht auf!

Zu seinem Wort stehen und Haltung zeigen

Annegret Kramp-Karrenbauer ist am Montag aufgestanden. Ich persönlich finde das nicht nur absolut folgerichtig, sondern vor allem auch unausweichlich. Deswegen meine Verwunderung ob der Überraschtheit der Vielen am Montag. Vor allem, weil einige der ach so Überraschten vorher selbst am kräftigsten mitgesägt hatten. Meiner Meinung nach hat AKK endlich die Geschichte umgedreht. Sie hat ihren Konkurrenten den – von den selbigen – zersägten Stuhl namens CDU hingestellt und gesagt: bitteschön! Hier habt ihr. Das Ergebnis eurer Arbeit.

Was nun folgen muss, ist ein Signal, dass die Lektion jetzt endlich gelernt wurde. Parteiübergreifend. Der Zusammenhalt innerhalb einer Partei ist essentiell. Ich meine damit nicht, blind zu folgen, nur abzunicken, oder ja zu sagen. Nein. Ich meine ein Bewusstsein für das große Bild, den Auftrag, den Sinnzusammenhang. Und dass dies bedeutet, mit eigenen Ambitionen auch mal zurückzustecken.

Miteinander sprechen – Gräben zuschütten

In der Personaldebatte um Parteivorsitz und Kanzlerdiskussion der CDU muss das zwingend bedeuten, dass die Diskussion jetzt basisdemokratisch und unter Einbeziehung aller Mitglieder passiert. Offen, transparent, gemeinsam. Wer einer Partei vorstehen will, die von uns Wählern gemeinsame Anstrengung verlangt, die verlangt, dass wir miteinander sprechen, dass wir Gräben schließen, dann müssen uns die entsprechenden Kandidaten das auch vorleben. Sie wollen schließlich Volksvertreter sein, richtig? Wenn die CDU verlorenes Vertrauen wiedergewinnen will, dann sollte sie sich nicht nur mit den Vorfällen und dem weiteren Vorgehen in Thüringen beschäftigen. Zusätzlich benötigt die CDU einen ehrlichen und wahrhaftigen Diskurs, wie sie mit Menschen in den eigenen Reihen umgeht. Auch wenn diese Menschen eine andere Meinung vertreten, und sogar, wenn diese Menschen Fehler machen.

Nur dann, liebe Parteien, kaufen wir euch eure Wahlkampfslogans ab. Wenn wir sehen, dass zuerst einmal ihr selbst euch auch daran haltet.

Für neue Vorsätze gibt es keinen besseren Tag als den heutigen Tag. Liebe CDU, nutzt den Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer, um alte Werte wieder abzustauben und ganz nach vorne ins Schaufenster zu stellen. Zusammenhalt. Respekt. Haltung zeigen. Integrität. Steht zu eurem Wort. Steht hinter euren Worten. Lasst euren Worten Taten folgen. Baut den Stuhl wieder zusammen. Besser. Und stärker. Und gemeinsam.